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Fakultät Raumplanung

Stawal – Stadtstruktur, Wohnstandortwahl und Alltagsmobilität

Projektziele

Die räumliche Struktur von Städten bzw. Stadtregionen und die Alltagsmobilität ihrer Bevölkerung sind auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Dies ist in starkem Maße vermittelt über die Wohnstandorte der Haushalte und weitere im Alltag relevante Orte, insbesondere die Arbeits- und ggf. Ausbildungsorte der Haushaltsmitglieder. Die Entwicklung des Verkehrs ist deshalb eng mit den Wohnstandortentscheidungen der Bevölkerung verknüpft. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Stadtentwicklung insgesamt, auf klimarelevante Emissionen, Verkehrssicherheit und vieles andere.

Ziel des Vorhabens war es, besser zu verstehen, (a) wie die Wohnstandortwahl – und insbesondere ein Umzug an einen neuen Wohnstandort innerhalb einer Region – die Alltagsmobilität beeinflusst, (b) welche Mobilitätsbedarfe, ‑anforderungen und ‑wünsche die Wohnstandortentscheidung von Haushalten prägen und (c) welche Rolle Mobilitätseinstellungen in den Wechselwirkungen zwischen Mobilität und Wohnstandortwahl spielen.

Folgende Fragen standen im Zentrum des Projekts:

1. Welche Mechanismen sind am Werk, wenn räumliche Strukturen und Mobilitätsangebote am Wohnort die Alltagsmobilität beeinflussen? Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Lage und Erreichbarkeit von wichtigen alltäglichen Zielorten (z.B. Arbeitsplatz)?

2. Welche Mobilitätsbedarfe, ‑anforderungen und ‑wünsche prägen umgekehrt die Wohnstandortwahl? Welche Rolle spielen dabei (a) Mobilitätsangebote, (b) subjektive Mobilitätseinstellungen, (c) (Geschlechter‑)Rollen in (Paar‑)Haushalten und (d) die multilokale Arbeit?

Der praktische Nutzen des Projekts bestand in wissenschaftlich abgesichertem, strategischem und unmittelbar verwertbarem Wissen zu den Verkehrsauswirkungen der Stadtentwicklung und der Wohnstandortwahl, den Mobilitätsanforderungen von Haushalten und einer integrierten, flächensparenden und klimafreundlichen Stadt- und Verkehrsentwicklung.

Methodik

Das Vorhaben nahm drei Perspektiven ein: Mobilitäts- und Standortnachfrage, Mobilitäts- und Standortangebote und Möglichkeiten der Steuerung der Wechselwirkungen zwischen Wohnen und Mobilität. Kernbestandteile waren (a) Panelbefragungen von Haushalten vor und nach einem Umzug zu ihrer Mobilität, ihrer Lebenslage und mobilitäts- und raumbezogenen Einstellungen, und (b) Querschnittsbefragungen von Haushalten in ausgewählten Quartieren, um ein breiteres Bild von Mobilität und Mobilitätsbedarfen zu erhalten. Beide Erhebungen beinhalteten quantitative Surveys und qualitative Interviews, zum einen in Form von Panelinterviews (vorher/nachher) mit umziehenden Haushalten, zum anderen in Form von Fokusgruppen mit der Quartiersbevölkerung. Die Befragung wurde zunächst in drei Metropolregionen mit unterschiedlichen räumlichen und sozioökonomischen Charakteristika durchgeführt (Berlin, München, Ruhrgebiet). Das Panel wurde im Lauf des Projekts auf ganz Deutschland erweitert. Für die quartiersbezogenen Erhebungen wurden Modellquartiere mit expliziten Mobilitätskonzepten und Kontrollquartiere ohne Mobilitätskonzept ausgewählz, um Evaluationen der Konzepte zu ermöglichen.

 

Ergebnisse

Die Ergebnisse des Projekts finden sich in einer Reihe von Publikationen (siehe unten), unter anderem in einem für die breite Fachöffentlichkeit gestalteten Endbericht (Projektteam Stawal 2024). Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Punkte thesenartig zusammen.

 

Bei der Wohnungssuche spielt der ÖPNV eine überraschend wichtige Rolle

Auch wenn bei der Wohnungssuche wohnungsbezogene Kriterien dominieren, achten Haushalte auf die Erreichbarkeit wichtiger Alltagsziele. Anders als vielfach vermutet, spielt ein guter Anschluss an öffentliche Verkehrsmittel eine größere Rolle als der Pkw-Stellplatz. Dem ÖPNV kommt damit eine Schlüsselrolle in der Siedlungsentwicklung zu. Die schwierige Wohnungssuche in Berlin und München zwingt Haushalte dazu, jede verfügbare Wohnung auch in schlecht mit Bus und Bahn erschlossenen Gebieten zu akzeptieren. Die größten Abstriche müssen diejenigen Haushalte machen, die nach urbanen, verdichteten Lagen mit hervorragender ÖPNV-Erschließung suchen – also gerade diejenigen, die aus der Perspektive einer nachhaltigen Raumentwicklung wünschenswerte Präferenzen haben. Für autoreduzierte Siedlungsplanungen gibt es deutlich mehr Nachfrage als Angebote.

Die Raumstruktur hat Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl…

Verkehrsmittelbesitz und -wahl ändern sich nach Umzügen zwischen urbanen und weniger urbanen Lagen. Die Raumstruktur hat also einen beobachtbaren Einfluss auf das Mobilitätsverhalten, und zwar auf die erwartete Weise: Umzüge vom weniger urbanen in den urbanen Raum führen zur Abnahme der Pkw-Nutzung und einer steigenden Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes.

… aber individuelle Mobilitätseinstellungen prägen die Mobilität noch stärker

Noch mehr als die Raumstruktur prägen individuelle Mobilitätseinstellungen die Verkehrsmittelwahl. Überzeugte Rad-/Pkw-Nutzende bleiben ungeachtet der Wegedistanzen ihrem Lieblingsverkehrsmittel treu. Vor allem Fahrrad-Affine „hängen" an ihrem Verkehrsmittel und wechseln allenfalls zum ÖPNV, wenn alltägliche Wege zu weit zum Radfahren geworden sind. Am ehesten ändern Personen ihr Mobilitätsverhalten, die entweder schon vor dem Umzug multimodal unterwegs waren oder keine eindeutige Affinität zu einem Verkehrsmittel haben. Diese Befunde verdeutlichen die tiefe Verankerung der individuellen Verhaltensweisen in den Mobilitätseinstellungen. Wird ein Wohnstandort gefunden, der den persönlichen Mobilitätseinstellungen entspricht, unterstützt dies also die mobilitätsbezogene residenzielle Selbstselektion. Mobilitätseinstellungen sind auch regional geprägt. Im Ruhrgebiet sind sie deutlich autoorientierter, während in München und Berlin der Pkw kritischer und der ÖPNV sowie der Fußverkehr positiver gesehen werden.

Das Homeoffice führt zum Einsparen von Wegen – und zu längeren Pendeldistanzen

Die Möglichkeit des Homeoffice führt zur Stärkung vorhandener urbaner oder suburbaner Präferenzen bei der Wohnungssuche: Für suburban orientierte Haushalte ist das Homeoffice ein zusätzlicher Anlass, die Wohnungssuche auf den suburbanen und teilweise sogar ländlichen Raum auszuweiten und Wohnangebote in weiter(er) Entfernung zum Arbeitsort in Betracht zu ziehen. Für urban orientierte Haushalte spielt das Homeoffice hingegen bei den Lagekriterien weniger eine Rolle, dafür umso mehr hinsichtlich der Wohnungsgröße (Arbeitszimmer). Insgesamt können durch das Arbeiten im Homeoffice zwar Wege eingespart werden, es führt aber gleichzeitig zu einer Verlängerung der Pendeldistanzen nach dem Umzug, da die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes als Standortkriterium an Bedeutung verliert.

Die Ergebnisse zeigen: Umsteuern lohnt sich für Kommunen und Wohnungswirtschaft

Für leistungsfähige und nachhaltige Gestaltung des Verkehrs können aus den empirischen Befunden eine Reihe wesentlicher Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Diese umfassen: ein qualitativ hochwertiges Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln; die Entwicklung von Standards für Mobilitätskonzepte im Neubau; Siedlungsentwicklungen in integrierten Lagen; eine ausreichende Erstellung von Wohnungsangeboten, damit erwünschte (nachhaltige) Präferenzen überhaupt realisiert werden können; die Realisierung von Pushmaßnahmen ("sanfter Druck") wie etwa die Umverteilung des Straßenraums zugunsten des Umweltverbunds; das Ersetzen der Stellplatzbaupflicht durch landesspezifische Mobilitätssatzungen; die Stärkung der Kommunen, die sich für einen Innovationsschub in der Verkehrspolitik des Bundes einsetzen sollten.

 

Fördermittelgeber

Bundesministerium für Bildung und Forschung

im Rahmen der Fördermaßnahme: MobilitätsZukunftsLabor2050

Förderkennziffer: 01UV2082A

Projektpartner

  • Technische Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung, Fachgebiet Stadt- und Regionalsoziologie, Prof. Dr. Susanne Frank
  • Deutsches Institut für Urbanistik gGmbH, Forschungsbereich Mobilität, Uta Bauer

Praxispartner

  • Anders Wohnen GmbH, München
  • Bauwerk Capital GmbH & Co. KG, München
  • BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V.
  • Bundeshauptstadt Berlin, Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz
  • GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., Referat Stadtentwicklung, Wohnungsbau und Raumordnung, Berlin
  • Gewobag Wohnungsbau-AG, Berlin
  • GEWOBAU Wohnungsgenossenschaft Essen
  • Gewofag, München
  • GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH
  • HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft mbH, Berlin
  • Immobilienscout24
  • Landeshauptstadt München,  Mobilitätsreferat, ehem.  Referat für Stadtplanung und Bauordnung
  • Spar- und Bauverein eG, Dortmund
  • Stadt Dortmund, Stadtplanungs- und Bauordnungsamt
  • Stadt Essen, Amt für Stadtplanung und Bauordnung
  • Stadt Lünen, Abteilung Stadtplanung
  • stattbau münchen GmbH, München
  • SWB-Service- Wohnungsvermietungs- und -baugesellschaft mbH, Mülheim an der Ruhr
  • VBW Bauen und Wohnen GmbH, Bochum
  • Verband bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW Bayern)
  • Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Rheinland Westfalen e. V. (VdW-RW), Düsseldorf
  • Vereinigung Münchener Wohnungsunternehmen
  • Wohnungsbaugenossenschaft Humboldt-Universität eG, Berlin
  • Wohnungsbaugenossenschaft Neues Berlin eG

Kooptierte internationale Partner

  • Prof. Dr.-Ing. Petter Naess, Norwegian University of Life Sciences, Urban Sustainability research group
  • Prof. Dr. Véronique van Acker, LISER, Luxemburg

 

Projektlaufzeit

November 2020 bis April 2024

 

Kontakt:

Prof. Dr. Joachim Scheiner, joachim.scheinertu-dortmundde

Telefon ++49 / (0) 231 755 4822

 

Publikationen

Schimohr, Katja / Heinen, Eva / Naess, Petter / Scheiner, Joachim (2025): Changes in mode use after residential relocation: attitudes and the built environment. In: Transportation Research Part D 139, 104556. DOI: https://doi.org/10.1016/j.trd.2024.104556

Schimohr, Katja / Heinen, Eva / Scheiner, Joachim (2025): The impact of relocations on distances traveled for commuting and grocery shopping: structural equation models of panel data. In: Transportation (in print, DOI: https://doi.org/10.1007/s11116-024-10498-1

Projektteam STAWAL (Bauer, Uta / Frank, Susanne / Gerwinat, Verena / Huber, Oliver / Lohaus, Jannik / Scheiner, Joachim / Schimohr, Katja / Stein, Thomas / Wismer, Annika) (2024): Stadtstruktur, Wohnstandortwahl und Alltagsmobilität. Neue Befunde für die Stadt- und Verkehrsentwicklung. Berlin und Dortmund. https://doi.org/10.34744/v8jz-yv89

Schimohr, Katja / Heinen, Eva / Scheiner, Joachim (2023): Travel-based residential dissonance as a motivation for relocation: An analysis of movers in Germany. In: Travel Behaviour and Society 33, S. 100639. DOI: https://doi.org/10.1016/j.tbs.2023.10063

Gerwinat, Verena; Wismer, Annika (2023): Homeoffice und Wohnstandortwahl in Großstädten: Neue Perspektiven. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung 15 (6), S. 320 – 324. https://www.vhw.de/fileadmin/user_upload/08_publikationen/verbandszeitschrift/FWS/2023/FWS_6_2023/FWS_6_2023_Gerwinat_Wismer.pdf

Scheiner, Joachim / Frank, Susanne / Gerwinat, Verena / Schimohr, Katja / Wismer, Annika (2023): Home Office als Chance für den Wohnungsmarkt – und als Rolle rückwärts für die Verkehrswende. Qualitative und quantitative Befunde. In: vhw Forum Wohnen und Stadtentwicklung 15(3), 156-162. https://www.vhw.de/publikationen/forum-wohnen-und-stadtentwicklung/archiv/archiv-detail/magazin/heft-32023-wohneigentum-als-baustein-fuer-die-wohnungspolitik/

Scheiner, Joachim / Frank, Susanne / Gerwinat, Verena / Huber, Oliver / Næss, Peter / Schimor, Katja / Van Acker, Veronique / Wismer, Annika (2023): In search of causality in the relationship between the built environment and travel behaviour. On the challenges of planning and realising an ambitious mixed-methods panel travel survey among relocating households in Germany. In: Progress in Planning  182, 100820.  https://doi.org/10.1016/j.progress.2023.100820

Bauer, Uta / Frank, Susanne / Gerwinat, Verena / Huber, Oliver / Scheiner, Joachim / Schimohr, Katja / Stein, Thomas / Wismer, Annika (Hrsg.) (2022): Wechselwirkungen zwischen Wohnstandortwahl und Alltagsmobilität. Wissenschaftliche Grundlagen und kommunale Praxis. Arbeitspapier im Rahmen des STAWAL-Projekts 01. Berlin: Deutsches Institut für Urbanistik. https://repository.difu.de/handle/difu/583509